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Bahnhof Holzwickede, von Rolf Backs

»Eine Kettensäge schafft Fakten ....« Rolf Backs berichtet über die Geschichte des Holzwickeder Bahnhofs

 

so beginnt am Dienstag, dem 18.10.94, der »Hellweger Anzeiger seine Berichterstattung über den Abriss des Holzwickeder Bahnhofsgebäudes. Und weiter: »Alle Bemühungen der Initiative Bahnhof, das Gebäude zu erhalten, finden damit ein Ende.«

 

Kein anderes Thema hat die Holzwickeder Bürger über einen so langen Zeitraum hinweg so intensiv, aber auch so emotional beschäftigt, wie das Thema Bahnhof Holzwickede. » Die Beseitigung eines Schandflecks« forderten die einen, »vor zu hohen Folgekosten« warnten die anderen, die konsequente Erhaltung des letzten historischen Gebäudes Holzwickedes« hatte sich die Initiative Bahnhof auf ihre Fahnen geschrieben. Trotz in der Sache hart und konträr geführter Diskussion – mit Beginn des Abrisses am 17.10.1994 endet die 139jährige Geschichte des Holzwicke- der Bahnhofes.

 

Fakten schaffen, so heißt es in bestem Neu- deutsch lapidar – und dennoch, den alteingesessenen Holzwickeder Bürger erfüllt se Tatsache mit Wehmut. Der Holzwickeder Bahnhof bedeutet für ihn sicherlich mehr als nur ein Gebäude. Allzu gegenwärtig ist noch für viele das pulsierende

 

Leben, die rege Betriebsamkeit, die einst auf dem riesigen Gelände herrschte, in bester Erinnerung die vielen Menschen, die auf dem Bahnhof Arbeit und Brot fanden und die so unverrückbar fest mit ihm verwachsen waren.

 

Als Beispiel dafür mag Karl Bitter dienen, der jahrelang in seiner »Sperre« saß und Fahrkarten lochte und kontrollierte.

Jeder kannte ihn – und er kannte jeden, und für so manchen Fahrschüler, Berufspendler oder Reisenden hatte er ein freundliches Wort, wußte das Neueste zu berichten oder drückte auch schon mal ein Auge zu, wenn man ohne Bahnsteigkarte das Gelände betrat. Die Menschlichkeit, die von ihm austrahlte – sie gibt es nicht mehr, heute wird sie ersetzt durch einen Automaten.

 

Mit unserem Beitrag wollen wir in der langen Geschichte des Holzwickeder Bahnhofes forschen und Zeitzeugen befragen, zum anderen soll die Bedeutung der einst so großen Bahnhofsanlage für Holzwickede und für seine Entwicklung aufgezeigt werden. Wir hoffen, somit den Alteingesessenen ebenso wie auch den Neubürgern einen Einblick in die Entwicklung und die Bedeutung des Bahnhofes seit 1855 zu geben, der Holzwickeder Bahnhof war mehr als nur ein Gebäude.

 

Als im Jahre 1835 die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth schnaufte, war Holzwickede noch ein Bauerndorf mit ca. 450 Einwohnern. Mit beginnender Industrialisierung jedoch – in Holzwickede zunächst mit dem Steinkohlebergbau – wurde bald die Bedeutung der Eisenbahn sichtbar.

 

Noch ein Bauerndorf

Wie heftig auch damals schon im Vorfeld in Holzwickede gestritten wurde, beschreibt der einstige Chronist Karlheinz Ligges in seiner Heimatschrift »Beiträge zur Ge- schichte der Gemeinde Holzwickede« so: »Schon lange bevor der erste Zug .... die Strecke befuhr, hatten sich einsichtige Männer für den Bau einer Eisenbahn eingesetzt.

Man dachte vor allem an eine Verbindung der Kohlenbezirke an der Ruhr mit der Soester Börde, Der Austausch der für unsere Heimat so wichtigen Produkte Getreide, Steinkohle, Eisen und Salz konnte bei den damals noch durchgehend schlechten Straßenverhältnissen in ausreichendem Maße nur von der Eisenbahn durchgeführt werden. Die Pläne zum Bau einer Eisenbahn lockten natürlich auch viele Gegner auf den Plan. Es schimpften die Fuhrleute, die um ihre Existenz bangten; es wetterten die Kohlentreiber, die Männer, die sich täglich mit 3-4 Pferden An den Schächten einfanden, einfanden, um die Kohlen in Säcken auf den Rücken ihrer Tiere zu den Salinen und Eisenhämmern zu befördern, und es fluchten nicht zuletzt die Wirtsleute, die den Fuhrleuten und Reisenden Speise und Getränke verabreicht hatten.«

 

‚Auch die Anekdote vom alten Dorfschmied Boeker aus der Bauernschaft Holzwickede, der als »Spökenkieker« galt, ist verbürgt – zumindest ist sie so von Generation zu Generation weitererzählt worden: Jetzt – zur Zeit der »Rauhen Nächte« - tritt auch bei verschiedenen alten Holzwickedern wieder besonders die Gabe des »zweiten Gesichts« in Erscheinung. Diese »Spökenkieker« sind im Lande der »roten Erde« gar nicht so selten. Und sie haben auch schon in allen Zeiten existiert; auch in Holzwickede.

 

So erzählt man sich noch heute von dem »alten Schmied« in unserer Heimatgemeinde, dem diese Gabe in besonderem Maße verliehen war. Er sah alle wichtigen Ereignisse schon weit voraus. Als im Jahre 1854 die Eisenbahn von Unna nach Dortmund und weiter gebaut werden sollte, da stritten sich die alten Holzwickeder dar- über, ob die Bahn über Hörde – Holzwicke- de. Oder über Brakel – Wickede nach Unna „geführt werden sollte. Aber weit ehe diese für Holzwickedes Aufblühen so wichtige Entscheidung von der zuständigen Behörde gefällt wurde, sagte der »alte Schmied« von Holzwickede wiederholt öffentlich: »De Baane kömmt in Holtwiker, ek hewe se sein. Se snuf asün fuirigen Drachen düä de Locht tüschen Nootrup un Holtwiker.« (Die Bahn kommt nach Holzwickede: ich habe sie gesehen. – Sie schnaubte wie ein feuriger Drachen durch das Loch zwischen Natorp und Holzwickede).

 

Tatsächlich wurde die Eisenbahn auch genau an derselben Stelle gebaut, ob- wohl das fast niemand für möglich hielt Der »alte Schmied« hatte mal wieder recht behalten wie so viele »Spökenkiekere.

 

Die Entscheidung war also gefallen.

Die Strecke Dortmund – Soest führte durch Holzwickede! Am 9. Juli 1855 erreichte der erste Personenzug die Gemeinde, genau um 9.52 Uhr. Man kann sich gut vorstellen, welch ein Ereignis der Anblick der ersten Eisenbahn für Holzwickede bedeutete. Mit »Kind und Kegel« war man zur Strecke gepilgert, um den »feurigen Drachen« zu sehen. Ein eigenes Bahnhofsgelände hatte Holzwickede damals freilich noch nicht – abgesehen von der »Bahnwärterbude«, einem Provisorium. Auch sausten die meisten Züge einfach durch, was natürlich auch niemandem nutzen konnte. Erst im Dezember 1860 erhielt Holzwickede endlich auf Drängen der Gemeinde eine eigene Station. Rasend schnell ging die Entwicklung nun voran: Neben der Strecke Dortmund – Soest wurde 1867 eine weitere Streckenführung zwischen Holzwickede und Hengstey eröffnet.

Der Bahnhof Holzwickede war ein Knotenpunkt geworden zwischen Dortmund – Soest und Hagen – Hamm. Natürlich stand der Gütertransport zur damaligen Zeit im Vordergrund. Was lag da näher, an einem Vereinigungspunkt zweier so wichtiger Strecken einen Güterbahnhof mit Rangierbetrieb zu installieren. Die sogenannten Ablaufberge wurden gebaut, die Gleisanlagen ständig erweitert. Es folgte der Bau der Umladehalle, des Lokschuppens mit der Drehscheibe, eines neuen Stationsgebäudes und der ersten Wohnhäuser für die Bahner – die »Feme, die es heute noch gibt. Man vermag kaum Luft zu holen angesichts dieser rasend fortschreitenden Veränderungen.

Was sie aber für Holzwickede bedeuteten, wird schnell klar. Zusammen mit den Bergarbeiterfamilien der Zeche Caroline hatte Holzwickede 1875 etwa 1900 Einwohner.

 

Karlheinz Ligges berichtet, dass im Jahre 1885 schon 46 Arbeiter – ein Vormann, ein Schmied, ein Schreiner, 20 Schlosser, drei Handarbeiter, acht Wagenrevisoren und 12 Putzer – in der Eisenbahnwerkstatt beschäftigt waren

 

Um die Jahrhundertwende fällt eine weitere wichtige Entscheidung. Viele Holzwickeder waren gar nicht besonders erfreut gewesen, als ihre Gemeinde durch die Schienenstränge in zwei Teile geteilt wurde. Allzu oft stand man vor den wegen des Rangierbetriebes ständig geschlossenen Schranken. Die Fuhrleute fluchten (auch damals war Zeit schon Geld), die Schulkinder bekamen Ärger, weil sie ständig zu spät kamen. Unfälle, auch tödliche, ereigneten sich. Eine Fußgängerbrücke von 60 m Länge war nur eine vorübergehende Lösung. Endlich -im Jahre 1910 – begann man auf langes Drängen der Gemeinde hin mit dem Bau einer Unterführung, und im Herbst des Jahres 1911 rumpelten die ersten Fuhrwerke durch sie hindurch.

 

Unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg ‚gab es schließlich über 1000 Bahner in Holzwickede, die Einwohnerzahl schnellte hoch auf fast 5000. Die Nachkriegsjahre waren gekennzeichnet von Krisen. Güterbahnhöfe in der Nachbarschaft (Geisecke und Hamm) erwiesen sich als Konkurrenz, Holzwickeder Bedienstete wurden entlassen. Vor dem 2. Weltkrieg jedoch ging es auch wieder aufwärts, ja es wurden sogar zwei weitere riesige Umladehallen gebaut.

Elisabeth Homberg, Jahrgang 1911 erinnert sich noch gut an diese Zeit. Sie war stets mit der Bahn verbunden gewesen, arbeiteten doch ihr Vater und nun auch ihr Ehemann »auf der Bahn«. »Eigentlich bekam ich beide selten zu Gesicht!« berichtet sie. Wegen der unregelmäßigen Arbeitszeiten waren sie oft fort von zu Hause, und wenn am späten Abend kein Anschlusszug mehr ging, dann mussten die Männer in der Bahnunterkunft in Soest oder Altenbeken übernachten.

»Die schlimmste Erinnerung, die ich an die- se Zeit habe, war der Angriff auf die Möhnetalsperre (17.5.1943). Auch in Holzwickede breiteten sich Gerüchte über diese Katastrophe wie ein Lauffeuer aus.

»Und ich wusste, dass mein Mann in dieser Nacht in der Unterkunft Soest übernachten musste«, berichtet sie heute noch ergriffen, »doch zum Glück war Soest von diesem Angriff nicht berührt.«

 

Im 2. Weltkrieg spielte der Bahnhof eine Rolle, wenn auch eine traurige. Am 23.03.1945 erlebte Holzwickede seinen größten Bombenangriff des Krieges überhaupt – und er galt natürlich dem riesigen Bahnhofsgelände, (In der nächsten Ausgabe wer- den wir ausführlich über den Angriff, der sich dann zum 50, Mal jährt, berichten). Welch

ein entsetzliches Bild bot sich den Zeitzeugen, welch ein Ausmaß an Zerstörung! Schier unmöglich schien es den Männern der ersten Stunde, den Wiederaufbau anzupacken. Wo sollte man bei diesem Ausmaß an Schäden nun eigentlich beginnen? Heute wissen wir, dass trotz größter Anstrengungen die Folgen des Angriffs nie völlig behoben werden konnten. 

Wir sprachen mit Dieter Stroff, der mit seinen Eltern 1945 nach Holzwickede kam. Sein Vater war von 1945 bis 1965 Bahnhofsvorsteher in Holzwickede und für Bahnhof und Rangierbetrieb zuständig, Joseph Stroff hat in dieser Zeit akribisch Tagebuch geführt und alles gesammelt, was den Bahnhof Holzwickede betraf. Seine Unterlagen sind heute ein wahrer Fundus für einen Chronisten. Welche Erinnerungen werden wieder wach, welche Namen wie- der gegenwärtig! Fritz Reibel etwa – im Volksmund liebevoll »der dicke Reibel« genannt! Er war stellvertretender Bahnhofsvorsteher und den Holzwickedern auch durch sein Engagement für den Schützenverein bekannt. Oder »Amtmann« Wilhelm Klösel, dem die Güterabfertigung, die Umladehalle, die Fahrkartenausgabe und die Gepäckabfertigung unterstand. Friedrich Böckmann, Leiter der Bahnmeisterei und zuständig für die Unterhaltung der Bahnanlagen im bau- technischen Bereich, schließlich noch August Merz im Bahnbetriebswerk mit Lok- schuppen und Drehscheibe. Joseph Stroff in seinen Aufzeichnungen: »Am 15. September 1945 wurde ich Bahnhofsvorsteher in Holzwickede. Ich übernahm einen voll- ständig zertrümmerten, durch Bombenabwurf verwüsteten Bahnhof. Von den insgesamt 32 km Bahnhofsgleisen war nur das durchgehende Hauptgleis intakt. Als ich den völlig zerstörten Bahnhof Holzwickede betrachtete, wollte ich ihn nicht übernehmen. Mir graute vor der Arbeit, aber die Dienstwohnung war frei und bewohnbar, damals ein Himmelsgeschenk.« Also blieb Joseph Stroff mit seiner Familie.

Kampf gegen Bürokratie

Wenn man seine Aufzeichnungen sorgfältig studiert, wird schnell deutlich, welch harten Jahre nun folgten. Es erforderte alle Kraft, nicht allein den Bahnhof wieder auf- zubauen, sondern auch den geeigneten Führungsstil zu finden. » Während auf der unteren Ebene eine demokratische Struktur ihren berechtigten Weg nahm, hatte man von oben noch mit veralteter, konservativer Bürokratie zu kämpfen. Da war es schwer, zwischen zwei Mühlsteinen zu lavieren«, vertraut er seinem Tagebuch an. Offensichtlich fühlte er sich aber bald wohl. Die Sprache seiner Aufzeichnungen wird zuversichtlicher, fröhlicher. Er schreibt über seinen Garten zwischen den Gleisen, dessen Erzeugnisse den Tisch bereicherten, aber auch von seinen Hühnern und Kaninchen.

Sohn Dieter Stroff fällt hier eine Begebenheit ein, die ihn heute noch schmunzeln lässt: »Die Hühner, so erzählt er,« lebten gefährlich zwischen den Gleisen.

Aber eigentlich passierte ihnen nie etwas.

Nur der stolze Hahn, der immer auf einer Stange des Zauns hockte, hatte sich einmal offensichtlich zu weit vorgebeugt und war in den Sog des vorüberrasenden Schnellzuges geraten. Zunächst war das unbemerkt geblieben, bis einige Kinder ganz aufgeregt meine Mutter alarmierten: »Frau Stroff, Frau Stroff, kommen sie ganz schnell! Auf »eins nördlich« liegt eine Leiche« Frau Stroff rannte schreckensbleich nach draußen, und fand auf Gleis 1 zwar keine Leiche, aber die Überreste ihres Hahns – in diesem Fall sicherlich das kleinere Übel.« Die Leiche auf eins nördlich« bewegte noch viele Jahre lang die ganze Familie. Dass einmal die Frau Bahnhofsvorsteher die Amtsautorität ihres Mannes ausnutzte, steht nicht geschrieben.

Aber Dieter Stroff versicherte glaubhaft: »Meiner Mutter war es sogar gelungen, vom Fenster aus einen Lokführer dazu zu bewegen, länger als gewöhnlich anzuhalten. Die beiden Söhne mussten noch zusteigen, hatten aber an diesem Morgen gebummelt. »Warten Sie noch eine Minute, sie kommen gleich!« So geschah es, und die Stroff-Söhne erwischten ihren Zug nach Dortmund noch.

 

Menschliches, allzu Menschliches tat sich auf dem Holzwickeder Bahnhof. Alfred Buchbinder, lange Jahre dort tätig, weiß ebenfalls noch so manches »Döneken« zu erzählen. Sogar von einem dichtenden Lokführer berichtet er. Lokführer Heinrich Müller und sein Heizer Fritz Kohlmann dichteten liebevoll über ihre Lokomotive

 

» Nur eine Maschine, die ist fleißig, Das ist die vierundzwanzig-achtunddreißig.

Sie ist so schnell wie ein Floh

Und ist im Nu in Gütersloh.

Geht üs jedoch über Gütersloh hinaus, Dann ists mit Lokführer und Heizer aus. «

 

Und weiter fragt er: »Was meinen Sie, was manchmal freitags morgens schon im Wartesaal los war, wenn die Tonnenbären von der Nachtschicht kamen und Abschlag gekriegt hatten?« Fragend die Stirn runzelnd steht der Chronist da, doch Alfred Buchbinder lässt des Rätsels Lösung schnell folgen: »Das Bahnhofsrestaurant, im Volksmund nur »Wartesaal« genannt, wurde am Freitag oft von den Tonnenbären aufgesucht. So nannte man die Männer von der Umladehalle, die auch danach bezahlt wurden, wie viele Tonnen sie umgeschlagen hatten Wenn man nun 40 Mark Abschlag in der Tasche hatte, wurde auch das eine oder andere Bierchen getrunken. Dass es auch mal eins oder zwei zu viel wurde, mag sicherlich auch vorgekommen sein. Pulsierendes Lachen, reges Treiben am Bahnhof – Zeitzeugen bekommen glänzende Augen, wenn sie davon erzählen. 

Karl-Friedrich Omansick, im Jahre 1945 noch unter Bahnhofsvorsteher Clemens Funke bei der Bahn eingestellt, hat sein Geschäft »von der Pike auf gelernt. Er war später neun Jahre lang Personalchef am Bahnhof Holzwickede. Er erinnert sich noch genau an jene Unglücksnacht, als das Wärterstellwerk Ho in sich zusammenbrach. Was war geschehen? »In dieser Nacht hatten wir mit umfangreichen Gleisbauarbeiten begonnen«, erzählt Karl-Friedrich Omansick, »dabei musste ein Bau- kran umgesetzt werden. Der Ausleger des Krans schlug so unglücklich gegen den Brückenpfeiler des Stellwerks, dass dieses vollständig in sich zusammenstürzte. Der diensthabende Stellwärter wurde dabei schwer verletzt. Da Karl-Friedrich Omansick in dieser Nacht der diensthabende Aufsichtsbeamte war, stellte er buchstäblich die Weichen für die umfangreichen Rettungs- und vor allem auch Sicherheitsmaß- nahmen, die notwendig waren. »Zunächst ging nichts mehr«, ist er auch heute noch ergriffen, » es dauerte Stunden, bis die Züge wieder halbwegs sicher die Unfallstelle passieren konnten.« Ein weiteres trauriges Ereignis packt ihn heute auch noch: »Der plötzliche Tod von Fritz Reibel (den wir ja schon erwähnten) hat alle sehr betroffen gemacht. «

 

Stückweiser Abbau begann

 

Wir wären damit wieder bei der Chronologie des Bahnhofs angelangt. Noch unter Joseph Stroff begann der stückweise Abbau des Holzwickeder Bahnhofs. Der Güterverkehr, aber auch der Personalverkehr, verlagerte sich mehr und mehr auf die Straße.

Rationalisierungsmaßahmen taten ihr übrigens. Zuerst wurde -trotz aller Widerstände – die Betriebswerkstatt stillgelegt (1955), später die Umladehallen (1963).

 

Als Joseph Stroff im Jahre 1965 pensioniert wurde, war-also das langsame Sterben des Bahnhofs Holzwickede längst ein- geläutet. Bahnhofsvorsteher wurde nun nach einer Übergangszeit Fritz Pichler, der später von einem Zug erfasst wurde und tödlich verunglückte. Es folgten bis zum Jahre 1978 Hans Müller und Heinrich Schlaß noch zwei weitere Bahnhofsvorsteher, bis der »Hellweger Anzeiger« am 10. Juni 1978 meldet: »DB fasst Dienste zusammen, Bahnhof Unna aufgewertet.« Hinter dieser knappen Schlagzeile verbarg sich die für den Bahnhof Holzwickede traurige Meldung, dass die Selbständigkeit aufgehört hatte zu bestehen. »Kundenspezifische Leistungen« bleiben von der Maßnahme unberührt – so die offizielle Verlautbarung der DB. Doch schon bald darauf ist sie nur noch Makulatur. Der Rangierbetrieb wurde schließlich ganz eingestellt, die Fahrkartenausgabe, trotz aller vorherigen Beteuerungen, wegrationalisiert. Damit fiel die letzte der schon genannten »kundenspezifischen Leistungen«, die letzte Möglichkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation.

 

Steht man zukünftig nun auf den zugigen Bahnsteigen (möglicherweise unter neuen Plexiglas-Unterständen) und wartet auf seinen Zug, mag man ein wenig darüber ‚nachdenken, was Menschen – aus welchen Gründen auch immer – anderen Menschen Zug um Zug genommen und somit ihr Leben radikal verändert haben. Der Fall des Bahnhofsgebäudes setzt den Schlusspunkt hinter einen langwierigen Prozess und bedeutet Endstation im wahrsten Sinne des Wortes. 

Text Rolf Backs, aus dem HSV-Heimatkalender Winter 1994